Aus der Sicht eines Grünschnabels

2009 machte ich nach 20-jähriger Flugpause bei einem Teebeutel-Kurs erste Flugversuche am Weltenseglerhang, sah dann auch die SG-38-Flieger, durfte beim 8000. Start eines schwäbischen Piloten beim Kommando „ Ausziehen“ das T-Shirt ausziehen und mitziehen, mein 10-jähriger Sohn Julius und ich bewunderten den Habicht im Fug und trafen bei abendlichen Spaziergängen mehrmals meinen früheren Fluglehrer Jürgen Daube.

2011 fing ich dann wieder mit Segelfliegen an und traf natürlich Jürgen wieder, der oft begeistert vom SG-38 Fliegen erzählte. Das wollte ich auch, aber, wie es so kommt, macht Jürgen just in dem Jahr keine öffentliche Info auf der Website des Aero Club Braunschweig, tja, als ich nachfragte, war es dann schon zu spät, also 2013, jetzt aber.

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Jürgen Daube kurz nach dem Abheben

Aber, wie hinkommen, mein Führerschein gerade nicht nutzbar, mit sperrigen Modellen und Julius dabei ? Denn Modelle, das hatte ich mir schon seitJugendzeiten geschworen, gehören bei einem Besuch der Wasserkuppe zwingend dazu, und wenn es nur kurz für einen halben Tag auf der Durchreise war. Jürgen hatte die super Lösung, „fahr doch mit Rolf, ich nehme sowieso den Roller“, also mit „Rolf“  telefoniert, alles klar. Am Abfahrtstag steht dann ein „Karsten“ mit Rolf vor der Tür und alle wundern sich. Wir über über das kleine volle Auto, die beiden über die großen Modelle, hatte ich das etwa vergessen zu sagen ? Naja, wo ein Wille ist, ist auch ein Platz. Dann zu Jürgen, Mittagessen mit Nudelauflauf und Tomatensauce, und los bis zum Zwischenstop Kirchheim.

Wo ist eigentlich Jürgen ? Vor uns, hinter uns ? Guter Anlaß für eine Wette, Einsatz eine Tüte aufblasbarer Fluggeräte in  zu erwartender Zeppelinform mit vorn angesetzter Kanzel, die ich verlor, da ich nicht an den kleinen Rollertank dachte.

Wir kamen bei bestem Wetter an der Wasserkuppe an und wurden herzlich von „Opa“ empfangen, Julius staunte über das Baby und den Rhönbussard, er kannte bisher nur Kunststoff, Ka6 und ASK13, schwierig für Ihn zu begreifen, daß er nicht mit den Fingern gucken soll. Wir richteten uns dann im Gesindehaus alle fünf in einem Zimmer ein, mein Hinweis auf Rolfs Freundin auf dem abweichenden Belegungsplan wurde im Eifer des Gefechts mit „das paßt schon“ gekontert, woher sollte ich auch wissen, daß Planung und Realisierung auch in Beziehungen manchmal so weit auseinanderklaffen und das schon seit Jahren. Dann kam das Highlight des Tages mit Kreuzbergbier vom Fass und einem wunderbaren Abendbrot mit allen im großem Kreis und allem, was das Herz begehrt. Allerdings bekroch mich so ein komisches Gefühl, das ich das letzte Mal in früher Kindheit spürte. Bist Du etwa der Jüngste und Grünschnabel hier?

Am Sonntag bei der ersten Flugzeugführereinsatzbesprechung von Andreas und Heinz dann der Hinweis, daß es sich bei dem Fluggerät um ein richtiges Flugzeug handelt ?!? Wie war denn das nun zu verstehen, der Verhau aus Holz und Spanndrähten, auf dem Generationen von Flugschülern über Jahrzehnte ihre ersten Flugversuche machten, kann doch wohl nicht so schwer zu fliegen sein, oder ist das gefährlich, hmhh ? Keine Instrumente, kein Horizont ? Nur nach Gefühl ? Hmhh? Beim Modell- und beim Teebeutelfliegen, klar, aber hier?

Irgendwann war ich dann auch mal dran, 1 Trimmgewicht bei 70kg nach vorn, Einsteigen von der richtigen Seite (welche Seite ???, also die anderen waren von links eingestiegen, dann muß das wohl die richtige Seite sein), Ruder auf neutral, nein, sagt Andreas, mehr Richtung drücken, na gut, Höhenruder nach Ansage von Andreas auf neutral gestellt, Querruder auch, bist Du etwa nervös?

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Jürgen fliegt.

Horizont, sagt Andreas  und sieht in meinen Augen nur viele Fragezeichen. Alles klar ? Ja, also „Ausziehen,….., laufen, …., los. Und das Ding steigt mit mir wie ein Ballon, au Backe ist das hoch, wie schnell bist Du eigentlich ??

Als der Zug etwas nachlässt, drücke ich etwas, passiert da eigentlich was , na ja mußt wohl mehr drücken. Das fühlt sich jetzt gut an, aber so stark gedrückt ? 

Da es dann stark Richtung Hang geht, versuche ich, mit Seite und Quer zu korrigieren, nach einer gefühlten Ewigkeit und Verstärkung der Ruderaus-schläge reagiert das System dann auch langsam. Ich fühle ich mich etwas wohler und verstehe endlich den Hinweis, das es sich um ein richtiges Flugzeug handelt. Jetzt macht es richtig Spaß, wir haben 3 Meter Höhe, Fahrt ok, doch dann kommt der Boden schlagartig näher, na, ein bißchen Ziehen, ausschweben lassen, das kann doch noch nicht alles sein, in 30 cm Höhe noch etwas ziehen, noch drei Meter weiter, das wars, er sitzt. Puuh, eine Platzrunde ist bedeutend kürzer. Jürgen kommt mit dem Traktor und sagt „super Weite, sah gut aus“ und ich bin irgendwie auch ein bißchen erleichtert, wieder am Boden zu sein. Wie lange war das ? 30 Sekunden ??? Was, das kann doch nicht sein, denke ich?

Bei den dann wieder folgenden Einsätzen als Gummihund denke ich über den ersten Flug nach und begreife langsam, warum für mich die Zeit im Zeitlupen-tempo verging . Höhe und Fahrt, unsere Lebensversicherung, ist weit weg, im Gegenteil, als das Seil herausfiel hatte ich vor der Höhe heftigen Respekt und kurz vor der Landung war ich gaaaanz schön langsam und kaum mehr steuer-fähig, das ist ja alles ganz anders als sonst. Karl-Heinz sagte, daß mein Start viel zu steil nach oben ging, daß ich doch stärker drücken müßte, ich solle den Vogel wie beim Flugzeugschlepp in sich steigen lassen. Naja, wegen des starken Drückens wurde dann entschieden, bei den nächsten Starts ein Gewicht mehr vorne einzuklinken.

Von da an interpretierte ich das Fliegen als Wettbewerb um die längsten Flüge und die größten Weiten. Jeannette und ich, die die geringste Flächenbelastung wegen Ihres Gewichts von unter 70kg hatten, machten das dann meistens unter uns aus, Dieter und Henry waren aber auch dabei, Henry Flug konnte allerdings nur unter Einsatz einer Kiste Bier anerkannt werden, da er in der Licher Zone landete. Relativ schnell erkannte ich, daß die Startgeschwindigkeit ganz wichtig für die Dauer und Weite ist. Daher fing ich an, Zuschauer zum Mitmachen und -laufen  zu bewegen. Das Ganze  kulminierte dann am Montag. Ich war wohl etwas zu schnell, denn 23 Personen zogen bei Jeannettes Start, die vor mir dran war und viele wollten dann aufhören, aber ein Hinweis zu Frauenpower und Gleichberechtigung führten dann doch zum Weitermachen und ermöglichten auch mir einen Start mit Unterstützung von 23 Gummihunden, was dann bei meinem 5.Gummiseilstart zum mit 34 Sekunden längsten und weitesten Flug der ganzen Woche führte. Von dem Trick mit dem kurzzeitigen Ziehen nach Anrutschen zum  Losreißen vom Boden hörte ich hinter vorgehaltener Hand allerdings erst später, daß man schon am Start mit Seitenruder Richtung Licher Zone steuern sollte (da ist es am steilsten und der Leeeinfluß vom Westhang geringer) hatte ich mir schon selbst erschlossen. Für die Chance auf den weitesten Flug kann man ja schon mal eine Kiste Licher riskieren.

Während wir alten Herren (Jeannette, entschuldige bitte) den Hang polierten und die Beine bis zum dritten Tage geschmeidig, locker und motiviert, dann nur noch gaaanz langsam im Automatikbetrieb, für unsere Tätigkeit als Gummi-hunde nutzten, nutzten die Kinder Julius, Emily und Leonie auch die alternativen Freizeitmöglichkeiten Computer, Sommerrodelbahn, Süßigkeiten essen und Zugucken beim Modellfliegen.

Rolf, Karsten und ich mußten ja noch die Wette klar kriegen, also abends los mit Jürgen, Deutscher Flieger hat zu, Peterchens Mondfahrt keinen Automaten, ich frage also, wo man denn, wenn man ein dringendes zwischengeschlecht-liches Bedürfnis verspürt, Materialien zum Schutz vor unerwünschten Nach-wirkungen erhält, die sehr direkte Aussage der Kellnerin: „dann fahren wir nach Poppenhausen“. Hmmh, das brachte uns nicht wirklich weiter, Jürgen läuft mit Augen voller Fragezeichen neben uns her und versteht die Welt nicht mehr und wir drei gackern weiter wie Teenager. Also letzte Station Segelflugschule, da bot man uns dann gebrauchte, frisch gespülte Materialien an, hmmh, das war uns dann aber nicht geheuer. Beim nächsten Brötchenholen in Gersfeld war es dann endlich soweit: Das Aufblasen und Verknoten war so schwierig, daß nur zwei Zeppeline übrigblieben, die dann die Nacht im Frühstücksraum als Dekoration der Deckenlampe verbrachten. Die meteorologischen Unterschiede am nächsten Morgen draußen führten dann leider zur Zerstörung eines Flugsystems beim Transport zum Start, das Andere zerlegte sich beim Start, hmmH, vielleicht sollten wir doch beim „Fliegen schwerer als Luft bleiben“, wie wir es gelernt haben.

Was es sonst noch gab? Heinz, der mir einen Aschenbecher auf den SG klebte, so daß ich nach dem Flug im Flugzeug rauchen konnte. Einen Verrückten, war es Rolf oder Tünnemann ?, der einen in die Freibierhalle verirrten Frosch küßte, nicht , weil er eine Prinzessin wollte (diesen Vogel hatte Amor mit einem krum-men Bolzen getroffen, so daß er in der Hinsicht erst einmal kuriert war ),nee, er wollte die Ka 6 von der Flugschule durch ein erhofftes Wunder haben – nichts wurde es!

Der Flugleiter, der um uns Figuren sehr bemühte Andreas, war „hochrossig“, wie Tünnemann seinen Seelenzustand diagnostizierte, aber ihm ist für seinen Eifer in jeglicher Richtung zu danken.
Dann ist da noch zu berichten von fröhlichen Convivien (griech.: Gelage), dank klarer Regeln zum Flugbetrieb wie Einsteigerichtung, Verlieren von Kleidungs-stücken im Flug, Licher Zone und Anwesenheitspflicht auf dem Flugzeug mit immer genügend Flüssigkeitsvorrat und den wahrhaft fürstlichen Frühstücken nach frischem Brötchenholen von Jürgen. Äußerst hilfsbereit, aber auch beratungsresistent zeigten sich zwei der Grand Prix Piloten, die uns in den ersten drei Tagen als Gummihunde und Versuchspiloten (wer steuert eigentlich im Sackflug? Der Pilot oder der SG oder der Wind oder der Hang oder die Erdbeschleunigung oder was und wohin?) zur Verfügung standen.

Für den reibungslosen Betrieb sorgten neben anderen unser Treckerfahrer Barto, sein fleißiger Assistent Karsten und dann auch Jürgen. Claudia und Jeannette sorgten immer fürstlich mit Kaffee und Kuchen für unsere erlahmten Gummihunde, und auch Äolos hatte mit uns niederem Volk ein Erbarmen, das Wort Knofe kam kaum zum Einsatz, wir haben in einer Woche 234 Starts mit 1h 35 min Dauer; dafür hatte der Gott des Windes gelegentliche Blähungen, die dann vorsichtige Erwägungen erforderten.

Und dann tauchte auch Klaus-Ludwig Bolze nach langen Jahren wieder auf: mit seinem nagelneuen SG 38 „Huck“ und Henry im Schlepptau. Nach einigem Hin und Her ging es ans Aufrüsten und Klaus konnte die restlichen Arbeiten für den ersten Start mit seinem „Huck“ durchführen. Am Donnerstag war es dann endlich soweit: der SG wurde von einem aufgeregten Klaus- Ludwig an den Weltenseglerhang gebracht. Das Flugzeug wurde noch einmal überprüft, Klaus machte sich fertig, die Startmannschaft stellte sich auf, und dann :“Ausziehen! Laufen! Los!!“, der Vogel flog davon, und wie er flog! Ruhig und unschuldig zog er dahin! Klaus war mehr als glücklich. Der Lohn jahrelanger Mühen!

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Der Neubau „Huck“

An dem Glück durften wir dann auch mit Bier und einem zünftigen Essen teilhaben.

Die Braunschweiger denken an eine wunderbare Woche zurück und der Hannoveraner und alle Anderen sicher auch!

Lutz Fasterling