Im Alter von ca. 16 bis 17 Jahren nimmt der fliegende Jungvogel bei Gelegenheit in der Gruppe den ersten Kontakt zum anderen Geschlecht auf. Zuerst wird meist spielerisch umeinandergehüpft. Dann auf einmal sondern sich zwei ab und verziehen sich an das entgegengesetzte Ende der Wiese, wo ein Gerät steht, das den großen Vögeln bei ihrem schwierigen Start behilflich ist. Hier in der Abgeschiedenheit und fern von allen anderen beginnen die Beiden sich zu erkunden, was mit häufigem Schnäbeln verbunden ist. Ebenso wird gegenseitig das Gefieder gestreichelt. Also ganz scheu und fern spielt sich das ab.
Weil aber nun der fliegende weibliche Anteil dieser Vögel so gering ist, kann der eben beschriebene Fall schon als Ausnahme angesehen werden. Es bleiben also die jungen männlichen Tiere in der Mehrheit und kommen in ihrem Revier kaum in Kontakt mit entsprechenden Weibchen. Da sie nur fliegen und arbeiten und auch sonst ihre ganze Freizeit in der Gruppe verbringen, leben sie so enthaltsam und meist ohne Kenntnis und Erfahrung. Sie wissen zwar, daß es „Hühner“ gibt, aber die leben auf einem anderen Stern, schwer erreichbar. Der Hahn möchte zwar gern und er fühlt, daß da noch etwas anderes sein muß als nur fliegen, aber er schafft den Sprung nicht, sich ein Weibchen zu holen.
Das wiederum machen sich manchmal solche Jungweibchen zu Nutze, die bisher unbeachtet und meist farblos außerhalb der fliegenden Vögel lebten. Das möchte ich Fall A nennen. Ein sechster Sinn läßt sie ahnen, hier leichte Beute machen zu können. Erscheinen sie auf dem Flugplatz, wird dieser schnell zum Balzplatz. Alle Hähne denken jetzt nämlich, das sei „Sie“ und schon ist es passiert. Meist hat das Junghuhn schnell sein Ziel erreicht und verliert schlagartig wieder sein Interesse am Selberfliegen. Glücklich können sich solche Vogelgruppen schätzen, die über junge Weibchen in Form von eigenem Nachwuchs verfügen. Diese werden ebenfalls gern und schnell genommen. Das ist Fall B. Aus nächster Nähe kenne ich einen Fall, wo erst Fall A und dann nach einigen Jahren Fall B eintrat. .Beim selben Hahn, versteht sich.
Hin und wieder gelingt es einem Jungvogel aber auch, ein Weibchen von außerhalb des Reviers mitzubringen, welches er „irgendwie“ kennengelernt haben muß. Das kann nur ein Zeichen dafür sein, daß er zu wenig fliegt, aber bestimmt wird er die nächste Zeit noch weniger fliegen. Diese mitgebrachten Partnerinnen werden vom Stamm mißtrauisch beäugt und nur bei großem Selbstbewußtsein integriert. Zumeist lernen sie das Fliegen nicht, wollen es auch überhaupt nicht.
Von einem Ereignis, schon ein Großereignis zu nennen, möchte ich berichten. Es dient, dem Kontaktmangel abzuhelfen. Jährlich treffen sich die Junghähne und -hühner unserer Region zu einem Balztanz in einem nicht unweit gelegenen Moore. Aus allen Teilen des Landes strömen sie dann zusammen, um dort einmal unter sich zu sein. Was sich dort in der Abgeschiedenheit abspielt, soll sehr laut und feucht sein, es wird älteren aber kaum darüber berichtet. Vor Jahren noch geschahen solche Annäherungsversuche mehr bei leiserer Musik und mit relativ eleganten Bewegungen bei den gemeinsamen Ritualtänzen Der laute Krach heutiger Gesänge und zuckendes Umhergehüpfe steht dem angestrebten Zweck mehr entgegen. Aber vielleicht sehe ich das auch falsch.
Auf welche Weise es nun funkt oder wie sich das Herz zum Herzen findet, um es einmal lyrisch auszudrücken, sei nun egal. Früher oder später findet fast Jeder oder Jede die oder den Richtigen und ein Paar hält Hochzeit.
Dann allerdings beginnt eine schwere, schwere Zeit – für das Weibchen – , wenn es einen überzeugten Flieger geheiratet hat. Es ist zu großer Einsamkeit verdammt. Ab dem Frühjahr verbringt der Gatte viel Zeit fliegend im Kreise seiner Gruppe. Wenn nicht geflogen wird, kluckt die ganze Sippe zusammen und findet viele Gründe lang und ausgiebig über dieses und jenes zu kakeln. Und wenn nicht geflogen und gekakelt wird, muß gemeinsam dieses oder jenes gerichtet, erneuert oder ergänzt werden, was so zum Fliegen nun mal notwendig ist. Und das ist eine ganze Menge. Gründe oder noch besser Zwänge finden sich immer und oft. Und wer dann immer noch nicht ausgelastet ist, findet sein Amt mit Leichtigkeit, um gruppen- oder landesweit zu leiten und zu koordinieren.
Die alleingelassenen Weibchen haben bei den Kurzbesuchen ihrer so beschäftigten Gatten die Möglichkeit, aber sie müssen dabei sehr geschickt und vorsichtig vorgehen, diesen so von seinem Lebenszweck abzubringen, daß sie dadurch in die Lage versetzt werden, nach spätestens 9 Monaten Brutzeit ein Junges in die Welt zu setzen. Unter den geschilderten Umständen wird die Aufzucht desselben meist nur von den Weibchen getragen. Das läßt den Schluß zu, je aktiver der Vatervogel fliegt, desto seltener wird sich der Nachwuchs dafür entscheiden. Ausnahmen bestätigen aber auch diese Feststellung, nicht wahr Horst und Rudolf?