Vom Leben und Lieben der segelfliegenden Großvögel
von Jürgen Daube, 1994
Es ist bestimmt nicht abwegig, Verhaltensweisen aus der Vogelwelt auf uns Segelflieger und Segelfliegerinnen zu übertragen. Sind wir nicht alle etwas komische, manchmal „schräge“ oder auch Spaßvögel? Ich habe mich seit vielen Jahren bemüht, dieser von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Vogelart nachzuspüren, die mit dem lateinischen Namen „Glido Glido maximus“ belegt ist.
Jetzt wird uns auch endlich klar, warum wir die vielen Jahre so glücklich in Walsrode* waren. Die unmittelbare Nähe zum Vogelpark hat uns instinktiv beeinflußt. Gibt es nicht auch solche mit Storchbeinen, mit Adlerblick oder mit einem Spatzenhirn? Ich z. B. singe doch so schön wie eine Nachtigall.
Als erstes müssen wir feststellen, daß im Verhältnis zur Gesamtpopulation die Großvögel des Segelflugs nur einen kleinen Prozentanteil einnehmen. Trotzdem kann noch nicht von einer gefährdeten Art gesprochen werden. Weil aber das spezifische Verhalten dieser Vögel eine Vermehrung erschwert, ist es erstaunlich, wie zäh sie sich dabei zeigen und trotz größter Widrigkeiten Nachwuchs zeugen, um so für die Arterhaltung, eines der elementarsten Grundprinzipien der Natur, zu sorgen.
Woran erkennt man eigentlich diese Vögel? Hauptmerkmal ist der weiß bedeckte Kopf mit großen, dunklen Augen. Die Körper sind vielgestaltig, meist ein-oder mehrfarbig. Die Größe ist auch nicht einheitlich. Äußerlich kaum Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Vögeln feststellbar. Zur besseren Identifikation verdeutliche ich einmal die Hauptmerkmale und zeige ein besonders schönes Exemplar.
Wo finden wir sie? Meist auf großen, grasbewachsenen, steppenähnlichen Flächen von mindest 1000 m Länge, außerhalb von Ortschaften. Wer solche Plätze sucht, wird sie am leichtesten finden, wenn er nach auffliegenden Vögeln Ausschau hält. Dann sind sie nicht zu übersehen.
Wann? Vornehmlich am besten zu beobachten bei gutem Wetter und dann allerdings nur morgens und abends, weil tagsüber die meisten ausgeflogen sind und dann nur nichtfliegende Vögel oder der Platzadler für die Ausbildung zurückbleiben. Ganz früher sollen es ausschließlich im Bergland lebende Vögel gewesen sein, die emsig oft steile Hänge hinab und heraufliefen.und nur in ganz kleinen Sprüngen flogen. Jetzt bevölkern sie auch flaches Land und sind über die ganze Welt verstreut. Sie fliegen excellent und können den ganzen Tag am Himmel verbringen.
Mein Beobachtungsstandort ist Braunschweig. Leichtgemacht dadurch, daß die Tiere hinter hohen Drahtzäunen gehalten werden. In der Heide leben sie dagegen ungezähmt und frei. In ihrenLebensräumen bilden sie Gruppen, die gesellig leben, weil immer etliche davon notwendig sind, um einem Tier die Möglichkeit zum Fliegen zu geben. Mindestens 5 Arbeitsvögel sind schon notwendig, um einen einzigen Flugvogel in die Luft zu bringen. Ist eine Schar größer als 5, so starten auch mehrere nacheinander, nie gleichzeitig. Ähnlich wie bei den Bienen gibt es offenbar Arbeitsvögel, die selbst wenig oder gar nicht fliegen, Ausbildungsvögel, die sich um den Nachwuchs kümmern und Königsvögel, die vorn und hinten bedient werden.
Die Jungvögel werden, kaum geschlüpft, auf das freie Feld gebracht und dort aufgezogen. Näheres hierzu später. Oder sie stoßen im Alter von 14 Jahren zur fliegenden Gruppe. Plötzlich sind sie da und tun durch übereifriges Verhalten kund, daß sie auch dazugehören möchten. Die Ausbildungsvögel nehmen sich der Jungvögel gern an und schwingen sich ca. 1-5 mal am Tag mit diesen in die Luft. Die Ausbildungsvögel sind meist älter, zunehmend konnte ich auch weibliche Tiere bemerken, die sich der schwierigen Aufgabe der Flugpflege und -Aufzucht widmen. Die als Leitgänse fungierenden Vögel für den Überlandflug werden in ihrer Sprache „Trainer“ genannt.
Der Jungvogel, ist er erst einmal integriert, kennt nichts anderes als arbeiten und fliegen, wobei er zur Arbeit aber ständig angehalten werden muß. Meist wird der dann auch sehr schnell flügge. Nach meinen Beobachtungen beginnen mehr männliche als weibliche Vögel mit der Ausbildung.
Die wenigen weiblichen Jungvögel animieren aber vorzugsweise die Altvögel männlichen Geschlechts zu fast gockelhaftem Verhalten. Sie spreizen sich und versuchen auf alle möglichen Arten Eindruck zu erwecken. Nur verheiratete Altvögel unter Aufsicht halten sich dabei zurück. Ja, erst einmal gebunden, verhalten sie sich wie die Graugänse monogam.